Drei Jahre gemeinsam stark

Drei Jahre gemeinsam stark

Beitrag vom 9. August 2023

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitglieder,

Im Sommer 2020 gingen in Belarus unsere Freund:innen, Verwandten, Kolleg:innen und Nachbarn zu Hunderttausenden gemeinsam auf die Straßen, um gegen die – wieder einmal – gefälschten Wahlen am 9. August zu protestieren. Es war nicht die erste, aber die größte Protestbewegung in der Geschichte von Belarus. Außerhalb von Belarus war es auch nicht das erste Mal, dass sich Belarus:innen zusammenfanden, und doch entstand dieses Mal etwas ganz Neues und die Diaspora in all ihrer Vielfalt wurde sichtbar und hörbar. Wir alle hofften, dass wir dieses Mal eine echte Chance haben würden, die brutale und aus der Zeit gefallene Diktatur zu überwinden, die so gar nicht in die Welt des 21. Jahrhunderts passt und die dem belarusischen Volk eine Zukunft in Freiheit, Würde und Selbstbestimmung verwehrt. In der Hoffnung auf ein demokratisches Belarus haben wir am 9. August 2020 unseren Verein, die Belarusische Gemeinschaft RAZAM gegründet.

Doch dann setzte eine bis heute anhaltende Spirale aus Repressionen, Widerstand, beispielloser Gewalt und Verzweiflung ein. Wir leben in einer historischen Ausnahmesituation, deren Ausgang noch unklar ist: Wir sehen die drohende Annexion unseres Landes durch Russland, die verbrecherische Unterstützung des Regimes für den Krieg in der Ukraine und die Zerstörung der belarusischen Souveränität und kulturellen Identität. Wir sind in ständiger Sorge um die mehr als 1.500 politischen Gefangenen, die unter unmenschlichen Bedingungen eingekerkert sind. Wir trauern um Vitold Ashurak, Nikolai Klimowitsch, Ales Puschkin und die vielen tapferen Kämpfer aus dem Kastus-Kalinousky-Regiment in der Ukraine. Wir werden sie alle in ewiger Erinnerung behalten.  

Unsere Antwort auf all diese traumatischen Ereignisse war von Anfang an leidenschaftlicher Aktivismus. Dieser außerordentlich anstrengende Marathon hat unsere Ressourcen bis an die Grenzen und darüber hinaus strapaziert. Viele von uns kennen das Gefühl, ausgebrannt und unendlich erschöpft zu sein. Wir mussten auf brutale Weise lernen, mit Enttäuschungen und zerstörten Hoffnungen zu leben. Und dennoch haben wir durchgehalten: Wir sind immer noch hier, wir sind immer noch zusammen, wir sind immer noch – RAZAM! Die belarusische Community ist lebendig und beweist immer wieder aufs Neue ihre Fähigkeit, den Hiobsbotschaften aus der Heimat positives Engagement entgegenzusetzen. RAZAM ist die Stimme geworden, die gehört wird, wenn in Deutschland über Belarus gesprochen wird.

Heute haben wir rund 300 Mitglieder in allen Bundesländern – und zwar nicht nur Belarus:innen, sondern auch viele Freund:innen aus Deutschland und anderen Nationen. Während vor drei Jahren kreative Straßenproteste unseren Aktivismus beherrschten, organisieren wir heute Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Gedenk- und Informationsveranstaltungen oder Treffen für die Diaspora. Man denke nur an die “Nacht der erschossenen Dichter”, das “Kupallje”-Fest in Bremen, die “Münchenschyna” und “Minsk x Minga” in Bayern, RAZAM-Kunst-Events in Berlin, deutschlandweite Diasporatreffen oder Briefings für Abgeordnete und Stiftungen. 

Dank der Hilfe zahlreicher Freiwilliger und engagierter Spender:innen können wir jeden Monat mehr als 50 Familien von politischen Gefangenen unterstützen. Das Team von RAZAM Help hat bereits mehr als 1.000 Menschen, die vor den Repressionen in Belarus geflüchtet sind, zu aufenthaltsrechtlichen Fragen in Deutschland beraten. In vielen Fällen konnten wir auch den betroffenen Familien helfen, die unter schwierigsten Umständen Belarus verlassen mussten. Gemeinsam mit dem „Free Belarus Center“ haben wir vor dem Krieg eine Notunterkunft für Geflüchtete aus Belarus in Kiew betrieben. Heute unterstützen wir die Stiftung Humanosh in Polen, die die ersten Notunterkünfte für geflüchtete Belarus:innen in Warschau und Umgebung betreibt. 

Als der Krieg in der Ukraine begann, starteten wir umgehend humanitäre Hilfsaktionen und sammelten Geld für die Minenräumung in verschiedenen Regionen des Landes. Im Rahmen von Förderprojekten unterstützen wir belarusische Menschenrechtsaktivist:innen, Journalist:innen und Kulturschaffende, oft gemeinsam mit Partnern in Deutschland oder aus der belarusischen Exilgemeinde. Dieses unermüdliche Engagement wird auch auf hoher politischer Ebene wahrgenommen und gewürdigt: überrascht und stolz gleichzeitig, durften wir im Mai dieses Jahres den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD entgegennehmen.

Und dennoch – der wertvollste und unverzichtbarste Teil von RAZAM seid ihr, liebe Mitglieder, Freiwillige und Aktivist:innen: ihr alle habt unglaublich viele emotionale Ressourcen, Kraft, Geld und Zeit geopfert, um all die kleinen Initiativen und großen Projekte wahrwerden zu lassen. Ohne dieses Geschenk eurer Kreativität, Energie und Aufopferung würde es RAZAM als Verein und Stimme der Diaspora nicht geben. 

Der Name RAZAM spiegelt all das wider, wofür wir stehen: RAZAM bedeutet, dass wir zusammenstehen, uns gegenseitig unterstützen und uns um diejenigen kümmern, die unsere Hilfe am meisten brauchen. Gemeinsam fördern wir die belarusische Kultur, Sprache und Identität. Gemeinsam unterstützen wir belarusische Intellektuelle, Künstler:innen und Aktivist:innen im Exil. Denn nur mit gemeinsamen Anstrengungen und vereinten Ressourcen können wir die Stärke einer wirklich demokratischen Zivilgesellschaft bewahren, die von Wertschätzung und gegenseitigem Vertrauen geprägt ist, in der wir leidenschaftlich, aber respektvoll miteinander diskutieren und streiten können, in der wir unsere Vielfalt anerkennen und offen sind, voneinander zu lernen. 

Wir sind überzeugt, dass dies der einzige Weg aus diesen schweren Zeiten ist. 

Zhyvie Belarus!

 

Yuliya Salauyova & Ina Rumiantseva
Vorsitzende

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