Zwischen Pandemie und Freiheitskampf

Zwischen Pandemie und Freiheitskampf

Beitrag vom 19. November 2020

Vom verzweifelten Kampf belarusischer Ärzte gegen das Virus und die Diktatur. Ihren emotionalen Aufruf zur Solidarität richten die Mediziner an ihre Kollegen im Ausland.


Sehr geehrte Damen und Herren,
Geschätzte Kollegen,

seit dem 9. August 2020 erlebt Belarus Proteste gegen den Ausgang der Präsidentschaftswahlen, die von zahlreichen Verletzungen begleitet wurden und infolge dessen von meisten Ländern sowie von führenden internationalen Organisationen wie etwa der OSZE nicht anerkannt wurden. Die Bewegung belarusischer Menschen für Freiheit und Selbstbestimmung gewann bereits die Unterstützung führender Demokratien der Welt sowie die der zahlreichen zivilgesellschaftlichen und religiösen Organisationen. Der friedliche Charakter des belarusischen Protests wurde zu seinem Markenzeichen und seine Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit – zum Vorbild für andere Völker im Kampf für die Ideale der Freiheit und Gerechtigkeit.

Die Staatsmacht reagierte auf den friedlichen und legitimen Protest mit unverhältnismäßiger Gewalt. Nach über drei Monaten der Proteste wurden mehr als 28.000 Bürger des Landes festgenommen und zu administrativen Haftstrafen verurteilt, über 1.500 wurden von Sicherheitskräften misshandelt, rund 1.000 sind im Gefängnis und als politische Gefangene anerkannt, 8 friedliche junge Männer wurden durch die Polizei ermordet, einer von ihnen wurde im Wald erhängt… Kein einziger Fall von Mord und Gewalt führte zu strafrechtlichen Ermittlungen.

Belarusische Ärzte konnten beim Kampf des Volkes gegen den Machtmissbrauch der Polizei und für Freiheit und eine bessere Zukunft für das gesamte Land nicht im Abseits stehen. Wir forderten das Ende der Gewalt, die Freilassung von politischen Gefangenen und die illegal verhafteten Bürger sowie den Beginn des Dialogs zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft. Unseren friedlichen Protest begannen wir während der Arbeitszeit. Das Recht dazu garantieren uns sowohl die belarusische Verfassung als auch die Statuten des Völkerrechts.

Im Ergebnis wurden mehr als 200 Ärzte und medizinisches Personal durch die Sicherheitsbehörden inhaftiert und verurteilt:

  • über 40 bekamen administrative Haftstrafen von 8 bis 30 Tagen,
  • über 150 müssen Geldstrafen in der Höhe von 1-2fachen Monatsgehältern entrichten,
  • einige Mediziner wurden durch die Polizei zusammengeschlagen,
  • einige verloren nach ihrer Inhaftierung die Arbeitsstelle (inmitten der COVID-19-Pandemie).

Die Verhältnisse in den Gefängnissen unseres Landes sind inhuman, besonders zuzeiten der COVID-19-Pandemie. Den Insassen werden bis auf Paracetamol alle Medikamente vorenthalten. Häufig dürfen sie sich tagsüber nicht auf ihre Betten legen und in eine Zelle sind 4-10 Personen eingepfercht.

Nach einigen Tagen Haft müssen sich viele Ärzte und andere Bürger mit COVID-19-Komplikationen zur stationären Behandlung in Krankenhäuser begeben. Wir betrachten diesen missbräuchlichen Umgang mit Menschen, mitunter Ärzten, als barbarisch und unzulässig!

Wir sind der festen Überzeugung, dass neben den professionellen Fähigkeiten Ärzte, Pfleger und anderes medizinisches Personal auch ihr Festhalten an universellen Werten wie Humanismus und Gerechtigkeit ausmacht. Und wir dürfen davon nicht abrücken.

Deshalb wenden wir uns an Sie in der Hoffnung auf Ihre Unterstützung mit der Bitte:

  • öffentlich repressive Maßnahmen der belarusischen Polizei, des Staates und von Lukaschenko zu verurteilen,
  • sich an das belarusische Gesundheitsministerium zu wenden und darauf zu drängen, die Kontrolle über die Zustände der Unterbringung von Gefangenen zu erlangen und diese mit medizinischer Hilfe zu versorgen,
  • sich an das belarusische Außenministerium zu wenden und an der Freilassung vom medizinischen Personal und dem Ende der Repressionen und der Gewalt gegen die Zivilisten zu bestehen,
  • sich an die anderen internationalen medizinischen Organisationen mit der Forderung zu wenden, belarussische Ärzte und Bürger zu unterstützen.

Hochachtungsvoll und in der Hoffnung auf Ihre Unterstützung,
Belarusische Ärzte

15.11.2020
Minsk, Belarus

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